Gerhard Schröders Rentenreformen:
Inzwischen ganz offiziell gescheitert
Gerhard Schröder hat die staatliche Rente in Deutschland systematisch geschwächt, zugun­sten der privaten Anbieter. Deren Rente sei angeblich sicherer. Inzwischen zeigt sich, wer wirklich profitiert hat: Nicht die Bürger*innen, sondern die Konzerne. Jetzt gibt sogar Bert Rürup zu, dass die private Altersvorsorge gescheitert ist. Er war einer der Architekten beim massiven Umbau des Rentensystems.
Aktualisiert 11.11.2020, 13:17

Der Umbau der Rentenversicherung seit der Regierungszeit von Gerhard Schröder, ein Krimi in vier Kapiteln:

1.
Unter Schröder wird beschlossen, private Rentenverträge massiv staatlich zu fördern. Das verschafft Versicherungskonzernen Milliardenumsätze. Millionen Deutsche schließen Privatrenten und so genannte Riester- und Rürup-Renten ab. Gleichzeitig werden die Einnahmen der staatlichen Rentenkasse schleichend ausgedünnt.
2.
Entscheidende Architekten des neuen Rentensystems bekommen später lukrative Jobs in der Versicherungsindustrie: Bert Rürup und Walter Riester lassen sich vom umstrittenen Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer anheuern.
3.
Nach und nach wird klar, dass die Privatrenten nicht lukrativ sind. Die Renditen gehen immer mehr in den Keller und die üppige staatliche Förderung versickert im Apparat der Versicherungskonzerne. Kein Wunder: Jahr für Jahr produzieren die Lebens- und Rentenversicherer mehr als 10 Milliarden Euro Kosten. Im Durchschnitt geben sie mehr als 10 Prozent der Beitragseinnahmen für Vertrieb und Verwaltung aus. Zum Vergleich: Die staatliche Rentenversicherung arbeitet mit Kosten von nur 1,3 Prozent.
4.
Und seit 2020 ist der massive Umbau des Rentensystems auch offiziell ein Fehlschlag. Deutschlands größter Versicherer, die Allianz, zieht sich teilweise aus dem Geschäft zurück: Der Konzern will bei neuen Verträgen nicht mehr garantieren, dass die Rentner*innen am Vertragsende wenigstens die bis dahin geflossenen Beiträge wieder ausgezahlt bekommen. Und sogar Bert Rürup räumt nun ein, dass das System nicht funktioniert, das er damals mit geschaffen hat. Er schreibt: "Die Versicherungswirtschaft hatte nun fast zwei Jahrzehnte Zeit, renditestarke und kostengünstige Produkte zur privaten Altersvorsorge zu entwickeln - und ist daran gescheitert."

Eigentlich hätten die aktuellen Aussagen von Bert Rürup hohe Wellen schlagen müssen, denn die umstrittenen Rentenreformen unter Gerhard Schröder haben das Rentensystem geschaffen, mit dem wir heute leben müssen. Nun verkündet ausgerechnet Rürup im Handelsblatt das Scheitern dieses Systems: "Vor fast zwei Jahrzehnten versuchte Walter Riester, eine flächendeckende private Altersvorsorge zu organisieren. Dieser Plan ist mittlerweile gescheitert."

Rürups Statement ist schon deshalb aufsehenerregend, weil er selbst eine der entscheidenden Figuren beim Umbau des Sozialstaats war. Wenn Rürup schreibt, dass "Walter Riester" versucht habe eine flächendeckende private Altersvorsorge zu organisieren, dann lässt er eine Person unerwähnt: Sich selbst. Rürup war über Jahre sozusagen das wirtschaftliche "Brain" der SPD-Sozialpolitik. Minister Walter Riester machte ihn seinerzeit zum Chef des Sozialbeirats. Rürup ersetzte dort Winfried Schmähl, einen Kritiker der Riester-Rente. Auf dem SPD-Ticket kam Rürup 2000 in den Sachverständigenrat ("Wirtschaftsweise"), von 2002 bis 2003 leitete er unter Schröder die Rentenkommission, die in der Presse als Rürup-Kommission tituliert wurde. Anfang 2005 wurde er, ebenfalls unter Schröder, sogar Chef des Sachverständigenrats. Viele SPD-Minister hörten auf ihn, insbesondere die Renten- und Sozialminister.

Es ist auch Rürup, der als Erfinder des "Dreisäulenmodells" gilt, das unter Schröder eingeführt wurde. Die Idee dieses Modells war, dass die staatliche Rente nicht ausreiche und durch private Versicherungen ergänzt werden müsse. Außerdem ist Rürup wesentlicher Urheber der Riester-Rente, der Rente mit 67 und des gesetzlichen Rechts auf Entgeltumwandlung. Alles Projekte, die unter SPD-Ägide initiiert worden sind. Die Folge: Die Deutschen haben Milliarden in private Rentenversicherungen gesteckt. Die Regierung Schröder hat also dafür gesorgt, dass Milliardensummen nicht ins staatliche Rentensystem fließen, sondern zu privaten Anbietern.

Später machte Rürup gemeinsame Sache mit der Finanzwirtschaft. Kurzzeitig war er Chefökonom beim umstrittenen Finanzvertrieb AWD, der von Carsten Maschmeyer mitbegründet und geleitet wurde. Mit Maschmeyer gründete er dann die MaschmeyerRürupAG. Anfang 2013 wechselte er erneut die Seiten und wurde Leiter des
Handelsblatt Research-Institute, später noch "Chefökonom" des Handelsblatts. Auch der ehemalige Arbeitsminister Riester hatte offenbar wenig Skrupel, sich gut von der Finanzwirtschaft bezahlen zu lassen, sogar schon während seiner Tätigkeit als Bundestags­abgeordneter. Die Frankfurter Rundschau nennt einige Details: „Vor seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2009 veröffentlichte Riester 69 bezahlte Tätigkeiten neben seinem Mandat. Rund 50 dieser Nebentätigkeiten betrafen die höchste Stufe (ab 7000 Euro Verdienst). Demnach hat Riester für Vorträge bei verschiedenen Versicherungsfirmen in den vergangenen Jahren mindestens 404.000 Euro erhalten."

Transparency International hat 2011 vehement die diversen Tätigkeiten von Rürup und Riester kritisiert: „Das ist aus unserer Sicht ein Beispiel für politische Korruption.“ Die Transparency-Vorsitzende Edda Müller kritisierte damals, Riesters Zusammenarbeit mit Maschmeyer sei „eine unzulässige Interessenverquickung, die eines ehemaligen Bundesministers unwürdig und unanständig ist. Riester hätte schon vor Jahren sein Bundestagsmandat niederlegen müssen.“ Auch Rürup warf sie damals massives Fehlverhalten vor: Er „dürfte keinerlei politische Beratungsfunktionen mehr bekommen. Wenn man gewusst hätte, dass er der Wirtschaft zu Diensten steht, hätte er als Wissenschaftler niemals diese Glaubwürdigkeit gehabt.“

Umso erstaunlicher, wenn nun ausgerechnet Bert Rürup hart mit der Versicherungsbranche ins Gericht geht: "Hohe Kosten und niedrige Renditen bei der kapitalgedeckten Ergänzungsvorsorge kann und sollte sich Deutschland nicht mehr leisten."  Die Versicherungsbranche sei gescheitert, nun werde es Zeit "dass die Politik das Heft in die Hand nimmt."

Damit vertritt Rürup jetzt Positionen seiner Kritiker. Sein Fazit ist sogar fast wortgleich zu dem, was ich vor einer Woche hier in
Freiblatt geschrieben habe: Die private Rente ist gescheitert, wegen zu hoher Kosten und zu niedriger Renditen.

Zusammen mit Dagmar Hühne habe ich Bert Rürup im Februar 2012 für unser Buch "Die Vorsorgelüge" lange interviewt. Schon damals hat er ein bemerkenswertes Eingeständnis gemacht, als wir ihn auf die exorbitanten Kosten der Privatverträge angesprochen haben: Niemand habe versprochen, dass das Dreisäulenmodell billiger werde als das alte Versorgungsmodell, das allein auf einer starken gesetzlichen Rente fußte.

Offenbar hat Rürup schon damals geahnt, dass das Dreisäulenmodell für die Versicherten deutlich teurer ist und so zu einer schlechteren Versorgung führt. Nun räumt er das Scheitern des von ihm selbst geschaffenen Systems offiziell ein. Was nun dringend passieren muss: Die SPD-Minister Olaf Scholz und Hubertus Heil müssen Konsequenzen ziehen. Wenn der Rentenumbau zu Gunsten der privaten Vorsorge scheitert, ist eine Kehrtwende unvermeidlich. Wir brauchen eine gesetzliche Rente, die wieder den Lebensstandard im Alter sichert. Österreich macht vor, dass dies in der Praxis funktionieren kann.


Die erste Fassung des Artikels ist am 09.11.2020 erschienen

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