Die private
Rente ist
in der Krise

Die Lobby preist noch immer die privaten Renten­ver­siche­rungen an. Diese seien sicherer und rentabler als die ge­setz­liche Rente. Doch längst zeigt sich: Hohe Ge­büh­ren und niedrige Renditen lassen die Privaten schlecht aussehen. Zwei Ankündigungen der Allianz offenbaren jetzt, wie sehr die Rentenversicherer in der Krise stecken.
29. Oktober 2020, 16:30

Die Allianz überrascht in diesen Tagen mit zwei Verlautbarungen, die in ihrer Tragweite nicht überschätzt werden können.

Erstens: Ab dem kommenden Jahr will die Allianz keine Altersvorsorge-Produkte mehr verkaufen, die eine 100-prozentige Beitragsgarantie haben. Das bedeutet: Auch wer seinen Vertrag regulär durchhält, bekommt möglicherweise weniger raus als er zuvor eingezahlt hat. Eine Ausnahme macht die Allianz nur dort, wo eine 100-prozentige Garantie gesetzlich vorgeschrieben ist, etwa bei Riester-Verträgen.

Zweitens: Die Allianz Pensionskasse wird ab 2022 keine neuen Verträge mehr anbieten. Pensionskassen gelten als wichtigster Durchführungsweg für Betriebsrenten. Bereits in der Vergangenheit war bekannt geworden, dass dutzende Pensionskassen in der Krise stecken und etliche Anbieter die versprochenen Leistungen bereits gekürzt haben.

Die Allianz arbeitet sogar mit Hochdruck daran, dass auch die letzten Beitragsgarantien noch fallen. Der Branchenriese kann dabei auf einen mächtigen Lobbyisten zählen: Jörg Asmussen. Unter Gerhard Schröder war er Ministerialdirektor im Finanzministerium, unter Angela Merkel wurde er zum Staatssekretär befördert. Damals trieb er die Deregulierung der Finanzmärkte voran. Inzwischen hat er die Seiten gewechselt: Er arbeitet jetzt als Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes GDV, und ist damit der Cheflobbyist der Versicherungskonzerne.

Die Allianz ist der mit Abstand größte deutsche Versicherer. Wenn dieser Gigant zwei so radikale Beschlüsse verkündet, läuten die Alarmglocken. Man muss etwas ausholen, um die Tragweite zu verstehen: Um die Jahrtausendwende haben Gerhard Schröder und Walter Riester behauptet, die gesetzliche Rente stünde quasi kurz vor dem Ruin. Die Rettung sei das so genannte Drei-Säulen-Modell. Die gesetzliche Rente könne nur die erste Säule sein, sie müsse ergänzt werden durch private Rentenversicherungen: Einmal über den Betrieb abgeschlossen (zweite Säule), zusätzlich direkt bei einem Versicherer abgeschlossen, wie beispielsweise Riester-Verträge (dritte Säule).

Bis heute macht sogar die gesetzliche Rentenversicherung selbst Werbung dafür, dass man auch bei der privaten Konkurrenz Rentenversicherungen abschließen solle. Auf der Homepage der "Deutschen Rentenversicherung" findet sich immer noch die Kernbotschaft der Regierung Schröder: Unter der Überschrift "Warum Sie auf drei Säulen bauen sollten" liest man, es sei "wichtig, zusätzlich für das Alter vorzusorgen. Gehen Sie es mit den drei Säulen an."

Doch bei der Allianz zeigt sich jetzt, dass die private Alternative nicht so funktioniert, wie man es uns seit 20 Jahren erzählt hat. Die zweite
und die dritte Säule sind in der Krise: Neue Betriebsrenten bietet die Allianz-Pensionskasse bald gar nicht mehr an, und bei den privaten Rentenversicherungen will die Allianz die Beitragsgarantien abschaffen. Bei manchen Verträgen ist es sogar zulässig, wenn die Allianz am Ende nur noch 60 Prozent des eingezahlten Kapitals erstattet. Das heißt im Klartext: Wenn man über viele Jahre insgesamt 10.000 Euro einzahlt, könnte man am Ende bis zu 4.000 Euro verlieren. Und Verluste sind keineswegs unwahrscheinlich, denn die Allianz investiert das Geld bei solchen Verträgen beispielsweise am Aktienmarkt, wo es in der Vergangenheit immer wieder zu starken Kurseinbrüchen gekommen ist, manchmal innerhalb von wenigen Tagen. In manchen Fällen wäre es also besser gewesen, das Geld einfach unter die Matratze zu legen.

Tatsächlich haben viele private Anbieter Schwierigkeiten, überhaupt den Betrag zurückzuerstatten, den die Versicherten eingezahlt haben. Der Grund: Die viel zu hohen Kosten der Branche. Bei den privaten Renten- und Lebensversicherungen versickern mehr als zehn Prozent der Einnahmen im System. Das sind viele Milliarden Euro, die jedes Jahr von den Spargroschen der Versicherten abgezweigt werden und später für die Altersversorgung fehlen. Zum Vergleich: Die staatliche Rentenversicherung hat nur einen Kostensatz von 1,3 Prozent.

Warum sind die privaten Anbieter so ineffizient? Unter anderem, weil sie ein ausuferndes Vertriebsnetz finanzieren: Sie zahlen ihren Vertretern und Maklern hohe Provisionen, damit diese möglichst viele Verträge verkaufen. Offenbar ist das System nun sogar für die Allianz selbst so ineffizient geworden, dass sie sich aus dem traditionellen Geschäft teilweise zurückzieht.

Die Allianz begründet ihre Notbremse bei der privaten Altersvorsorge mit der Niedrigzinsphase. Doch die richtet in der gesetzlichen Rente keinerlei Schaden an: Im Umlageverfahren der Gesetzlichen wird jeder Euro sofort wieder verteilt, daher muss auch nichts angelegt werden. Dieses System ist gegen Krisen und Inflation weitgehend immun. Die Gesetzliche hat ihre Rentenzahlungen seit 2015 im Westen um 17 Prozent und im Osten um fast 23 Prozent erhöht.

Die Politik müsste das gescheiterte Experiment mit dem Drei-Säulen-Modell dringend beenden. Jeder Euro, den Bürger*innen in private Rentenversicherungen stecken, fehlt der Gesetzlichen. Das staatliche System ist also immer weiter geschwächt worden, zugunsten der privaten Anbieter. Die Politik sollte endlich den Rentenwert der gesetzlichen Rente so erhöhen, dass alle eine armutsfeste Rente bekommen. Das ist finanzierbar, wie meine Co-Autorin Dagmar Hühne und ich in unserem 8-Punkte-Programm vorgerechnet haben. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, um endlich alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rente zu bringen. Anfangen solle man mit den Berufspolitiker*innen und Selbstständigen und dann Schritt für Schritt auch die Freiberufler*innen und Beamt*innen integrieren.

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